Nicht für Autos
Dellbrück ist ein schönes Viertel. Nah an der Stadt und nah am Wald. Viele kommen zum Einkaufen her, auch aus den umliegenden Orten. Aber es macht keinen Spaß mehr, auf der Hauptstraße ein zu kaufen. Die Gehwege sind zugeparkt, mehrmals hab ich gesehen, dass Bewohner des Altenheims mit ihrem Rollator auf die Straße ausweichen mussten. Die Stimmung ist egoistischer, rücksichtsloser und aggressiver geworden. Und dann kam auch noch Corona dazu. Man KANN gar keine Abstände einhalten, wenn auch noch die Gehwege zugeparkt sind. Was kann man tun?

Alles fing an mit einem Post auf nebenan.de. Innerhalb kürzester Zeit hatte der Post auf nebenan.de über 100 Kommentare. Bis auf zwei alle positiv.
Mein Hilferuf auf nebenan.de hat etwas ins Rollen gebracht, womit ich niemals gerechnet hätte. Eine Bürgerinitiative ist daraus entstanden: Freie Wege Dellbrück. Wir haben gerade erst angefangen und sind noch lange nicht am Ziel, aber wie sich das entwickelt hat, das ist auch jetzt schon spannend.
Kurz nach dem Post und den vielen positiven Antworten kam der Vorschlag, sich doch mal zu treffen. Wir trafen uns im Café. Wir waren zu viert. Dann wurden es mehr. Wir sind jetzt 24 in der Gruppe, davon acht Aktive, gerade sind noch zwei dazugekommen. Wir treffen uns regelmäßig, zeitweise auch per Video-Konferenz. Es gab einen Artikel in der Kölnischen Rundschau. Wir haben eine Webseite eingerichtet, Briefe an die Stadtverwaltung und an die Oberbürgermeisterin geschrieben und einen Bürgerantrag gestellt, dass wenigstens dafür gesorgt wird, dass die Regelungen, die es schon gibt, auch eingehalten werden.
Nun ist das Parken auf den Gehwegen nur ein Teil des Problems, ein Symptom für die zunehmende Rücksichtslosigkeit und Aggressivität auf den Straßen. Wir wollen mehr. Also haben wir eine Runde gemacht zu der Frage: Wie sieht die Dellbrücker Hauptstraße in 10 Jahren aus, wenn all deine Wünsche zu 100% erfüllt sind, so dass du sagen kannst: das hat sich gelohnt, dass ich mich dafür eingesetzt habe, schön, dass ich dabei war.
Das war schön: da fingen alle an zu träumen und zu spinnen und wir haben uns an unsere Sehnsucht erinnert, wie es sein könnte, wie schön und ruhig, sicher und sauber. Die Kinder könnten allein zur Schule gehen. Man könnte flanieren, sich treffen, sich mal hinsetzen und ausruhen, in Ruhe einkaufen.
Einer in unserer Runde ist Architekt. Er hat diese Visionen auf vier großen Postern ins Bild gesetzt und gegenüber gestellt, wie es jetzt ist – und wie es sein könnte.
Der Bürgerverein Dellbrück hat vor Jahren schon bemerkt, dass die Hauptstraße nicht mehr schön ist, und auch nicht sicher. Sie haben Tempo 20 und mehr Zebrastreifen durchgesetzt. Das Problem ist: Beides, Tempo 20 und Zebrastreifen wird nicht akzeptiert. Autofahrer regen sich auf.
Das funktioniert deshalb nicht, weil es in dem alten Muster stecken bleibt: „Das Auto hat immer Vorrang“. So sehen viele Autofahrer diese Zugeständnisse an die Fußgänger als eine Zumutung. Unser Verkehrsrecht ist von 1934!
Nun hat die Welt sich geändert seit 1934. Der Verkehr hat sich verändert. Die Städte, die Menschen, die Bedürfnisse, aber vor allem: Das Klima.
Da muss sich etwas ändern. Überall hat man das erkannt und hat angefangen, den Verkehr zu modernisieren: In Münster, Unna, Frechen, Aachen, Amsterdam, Barcelona, Bern, Bohmte, Boston, Brühl, Chicago, Kopenhagen, London, New York, Paris, Plaine Commune, Pontevedra, San Francisco, Stockholm, Straßburg, Toronto und in vielen anderen Städten.

Die Geschäftsinhaber sind vorher oft skeptisch, teilweise vehement dagegen, und befürchten Umsatzeinbußen. Aber das Gegenteil tritt ein – und hinterher sind alle begeistert. Es gibt internationale Untersuchungen dazu. Teilweise ist der Umsatz nach der Verkehrswende um bis zu 30 % gestiegen.
Wir von Freie Wege Dellbrück wollen erstmal herausfinden, was da ist, was die Menschen wollen, was die Bedürfnisse sind. Wir wollen alle mitnehmen. Auch die Autofahrer.
Am 18. September 2020, hatten wir unseren Aktionstag. Der 18. September ist seit 2006 der Internationale Parking Day, eine Aktion für menschenfreundliche Städte. Fünf Parkplätze hat das Ordnungsamt für unseren Aktionstag freigehalten. Wir haben sie „möbliert“ – mit Bänken, Tischen, Grünzeug, einem Sonnenschirm, einer Malecke für Kinder. Man konnte sich ein bisschen, im Kleinen, vorstellen, wie es sein könnte. Die Poster mit der Vision waren das Herzstück der Aktion. Sie haben viele Diskussionen angeregt.
Viele Autofahrer und Geschäftsleute, mit denen wir gesprochen haben, waren am Anfang strikt „gegen eine Fußgängerzone“. Wenn wir ihnen dann erklärt haben, dass wir uns gar nicht für eine Fußgängerzone engagieren, sondern dass wir erstmal die Bedürfnisse aller sammeln wollen, um dann ein für alle sinnvolles Konzept zu erarbeiten, z.B. mit Ladezonen und -Zeiten, mit zusätzlichen Parkmöglichkeiten und Pendelbus für große Einkäufe, Rollator und Kinderwagen, dass man auch über Tempo 20 reden kann und dass es z.B. bei Shared Space keine Zebrastreifen gibt, wurden die meisten nachdenklich und hörten auf, von „hirnverbrannt“ und Schlimmerem zu reden.
Ob es allerdings ein legitimes Interesse im Sinne des Gemeinwohls sein kann, im SUV zu sitzen, auf dem Bürgersteig, und die Zeitung zu lesen, während die Gattin einkaufen geht und die Fußgänger Schlange stehen, um am Auto vorbei zu kommen – oder auf die Straße ausweichen müssen, darüber wollen wir nicht diskutieren.
Ein auf das Auto ausgerichtetes Verkehrskonzept ist heute überholt – schon aus Klimagründen. Dabei geht es um mehr als ein Verkehrskonzept. Shared Space zum Beispiel baut auf die Eigenverantwortung der Menschen, auf Vernunft, Rücksicht und Gemeinwohl. Wenn das gut geplant und auf die besonderen örtlichen Gegebenheiten zugeschnitten ist, funktioniert das erstaunlich gut.
Auf dem Weg dahin sind wir gerade in Köln-Dellbrück. Und wenn wir von „Freie Wege Dellbrück“ uns treffen, dann ist da immer so eine besondere Energie. Es fühlt sich an wie auf einer großen Welle zu reiten. Macht Spaß!
Viel Erfolg für Dellbrück. Und hoffentlich können wir in ein paar Jahren noch viel mehr gute Beispiele aufführen von Städten, in denen ein Wandel stattgefunden hat. Danke Asra für dein Nachhalten und deinen Optimismus. Wir haben in Bonn jetzt erstmal eine grüne Bürgermeisterin gewählt und hoffen mit ihr eine Wende herbeigeführt zu bekommen. Aber, auch wenn die Themen Verkehr und Mobilität sicher mit eintscheidend waren für die Wahl der Bürgermeisterin, so ist uns natürlich allen bewußt, dass km 30 im Stadtgebiet und Parkplätze, auf denen ein SUV gar nicht abgestellt werden kann, weil er zu groß ist, noch Zukunftsmusik sind.
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