Corona, Corona, Corona. Pausenlos werden wir bombardiert mit Meldungen zu Corona. Viele machen sich Sorgen, einige haben Angst. Es gibt größere Sorgen. Heute gehts um den Wald. Der Wald und Corona – die haben miteinander zu tun.
Ohne Essen kommen wir etwa 40 Tage aus. Ohne Wasser ungefähr vier Tage. Ohne Luft höchstens 4 Minuten (ohne Sauerstoff). Wir wissen
- wie wichtig der Wald ist
- wie es dem Wald geht (schlecht)
- woran das liegt (am Klimawandel)
- und was man dagegen machen kann (wissen wir seit den 70´er-Jahren).
Wir sehen jeden Tag Bildervon Waldbränden von toten Bäumen, von Borkenkäfern und von aussterbenden Tier- und Pflanzenarten. Gibts denn gar keine guten Nachrichten vom Wald? Oder wenigstens mal was Neues?

Selbst wenn die Bäume gesund wären: Der Boden ist so gut wie tot, es gibt nichts zu fressen und keine Nist- und Schlafplätze für Vögel und andere Tiere, die Fichten bilden nur flache Wurzeln – entgegen ihrer Natur, zum Teil durch Beschnitt in der Baumschule. Damit können sich sich nicht festhalten und fallen im Sturm reihenweise um. Das Buffet ist eröffnet für den Borkenkäfer. Schnell wird alles abgeräumt, damit der Borkenkäfer sich nicht weiter ausbreitet – aber auch, weil der Deutsche Waldbesitzer und Förster es gern ordentlich und aufgeräumt hat.
Und dann werden wieder Fichten angepflanzt. Die nächsten Stürme hauen die wieder um, immer öfter kommen sie. Und wieder werden Fichten gepflanzt. Und so weiter.
Die Fichte wurde aus Skandinavien eingeführt, weil man schnell wachsende gerade Stämme haben wollte. Wenn man sich ihre Form ansieht, die funktioniert wie ein Regenschirm: Wasser und Schnee fließen ab, weg vom Stamm – ideal für ein Klima mit langen, nassen Wintern.
Die Eiche dagegen streckt ihre Äste wie einen Trichter nach oben, sammelt Regen und Licht und leitet es zum Stamm. Genauso machen es auch die Buchen.
Man fragt sich: Warum werden keine Eichen und Buchen gepflanzt, wenn die besser mit unserem Klima und dem Klimawandel klarkommen? Wegen des Profits? Wenn die Bäume alle paar Jahre im Sturm umfallen und gar nicht erst erntereif werden? Das ist doch ein reines Verlustgeschäft. Sollte man meinen. Die Holzindustrie sieht das anders. Die will Nadelholz, Nadelholz, Nadelholz. Weil die Sägewerke darauf eingestellt sind? Weil sie die Maschinen, die sie jetzt haben, in 80 bis 100 Jahren noch benutzen wollen? Weil Nadelholz sich am besten eignet als Bau- und Industrieholz?

Diese Balken sind über 600 Jahre alt. Muss denn immer alles sofort kaputtgehen? Und weggeschmissen und erneuert werden?
Man fragt sich: ginge das nicht auch anders?
Nach den großen Stürmen in den 1990´er-Jahren war viel die Rede vom Wald-Umbau. Es wurde mit Baumarten experimentiert, die vielleicht besser für den Klimawandel geeignet sein würden als die Fichte. Wie hier im Klimawald vom Waldlabor im Westen von Köln.
Man hat im Sinne vom Waldumbau „ökologischen Mischwald“ aus Fichten und Douglasien angepflanzt. Das sah am Anfang auch ganz gut aus, die Douglasien hatten keine natürlichen Feinde hier, sie wuchsen gut, aber mit dem weltweiten schnellen Warenverkehr heutzutage kamen die sogenannten Schädlinge dann doch irgendwann, hatten wiederum hier keine natürlichen Feinde und konnten sich ausbreiten.
Seitdem wir Wohllebens Bücher gelesen haben, wissen wir: Ein Wald ist nicht nur eine Ansammlung von Bäumen sondern ein eingespieltes und fein aufeinander abgestimmtes System von Lebewesen, die sich gegenseitig brauchen. Die Kleinlebewesen im Boden zersetzen das Laub, das im Herbst runterfällt, zu Humus und stellen den Bäumen damit wiederum Nährstoffe zur Verfügung. Mit Douglasien können die Kleinlebewesen unserer Wälder aber nichts anfangen – sie verhungern. Man kann die Arten nicht einfach austauschen. Die Douglasien sind für unsere Tier- und Pflanzenwelt unbrauchbar – weder Pilze, Flechten, Moose noch Tiere können damit was anfangen. Wer Douglasien anbaut, zerstört die Vielfalt und das Zusammenspiel der Biosphären. In Belgien ist es verboten, den Anbau von Douglasien zu empfehlen.
Wikipedia schreibt:
„Verschiedene Expertengremien gehen davon aus, dass das sechste Der IPBES-Bericht nennt als Gründe für das aktuelle Aussterben – in der Reihenfolge ihres Ausmaßes – den Verlust von Lebensraum, Veränderungen in der Landnutzung, Jagd und Wilderei, den Klimawandel, Umweltgifte sowie das Auftreten von Neobiota.“
Manche Naturschützer und Forstwirte sagen, man muss die Neophyten bekämpfen, weil sie einheimische Pflanzen verdrängen und die besondere Artenvielfalt und Schönheit unserer Landschaften bedrohen. Andere sagen, erfahrene Förster, je gesünder eine Biosphäre ist, umso weniger Chancen haben Neophyten. In einen gesunden Buchenwald kommen sie nicht rein. Wieder andere versuchen, bestimmte gefährdete, seltene und schöne Landschaftsformen zu erhalten, wie zum Beispiel in der Dellbrücker Heide.

Das war noch vor 30 Jahren militärisches Sperrgebiet. Da sind die Belgier mit Panzern rumgefahren. Jetzt wächst alles wieder zu. Eine einzigartige Heidelandschaft hat sich gebildet, die man erhalten will. Der BUND greift hier ein und macht das, was ursprünglich die großen Weidetiere gemacht haben: Bäume und Büsche werden teilweise entfernt.
Was sind überhaupt Neophyten? Wo fangen wir an? Gehören Kartoffeln dazu? Tomaten? Bohnen? Sie kommen aus Südamerika. Ab wann gilt eine Pflanze als als eingewanderte Art? Wie hat denn unser Wald ursprünglich ausgesehen? Wie würde natürlicher Wald aussehen? Waren hier undurchdringliche dunkle Urwälder, wie sie Tacitus beschreibt?
Im Waldlabor gibt es einen Teil, wo man das Land sich selbst überlassen hat. Den Acker hat man weder eingezäunt noch irgendwas gepflanzt oder gesät. Der Förster, bei dem ich hier mal eine Führung mitgemacht habe, meinte, es würde ihm ja oft in den Fingern jucken, was zu machen, weil auch Interessantes und Schönes wieder verschwindet, aber das Konzept ist, nicht einzugreifen und zu sehen, was von selber wächst. Das ist jetzt nach neun Jahren so dicht, dass man nicht reinkommt. Hier entsteht ein neuer Urwald.
Bevor wir Menschen auftauchten, war Mitteleuropa von Buchen- und Eichenwäldern bedeckt. Aber schon seit der Steinzeit, als wir sesshaft wurden, haben wir den Wald gerodet, genutzt und verändert. Heute haben wir – bis auf wenige, kleine, verstreute Ausnahmen – in Deutschland keinen Urwald mehr.
Was im Waldlabor im Experiment künstlich gestaltet wird, geschieht auch in der Natur dauernd. Wald verändert sich. Er passt sich an. Auch wechselnden Klimabedingungen. Und Klimawandel hat es schon öfter gegeben auf der Erde. Vor 250 Millionen Jahren war es auf der Erde 15 Grad wärmer als jetzt. Immer wieder hat es Massensterben gegeben, vor allem bei Erwärmungsperioden. Es hat Klimawechsel gegeben, die zigtausend Jahre gedauert haben, aber auch welche, die in ein paar Tagen stattfanden.

Wenn man nicht aussterben will, muss man wandern. In Nord- und in Südamerika konnten die Pflanzen und Tiere parallel zu den in Nord-Süd-Richtung verlaufenden großen Gebirgszügen wandern. Wenn die Veränderung nicht zu plötzlich geschah, hatten die Arten Zeit, sich anzupassen und zu verändern. Deshalb gibt es dort so eine große Artenvielfalt.
Das haben wir Menschen zigtausend Jahre lang genauso gemacht. Wir sind mit dem Klima gewandert. Zuerst sind wir den großen Herden gefolgt. Dann haben wir „unsere“ Tiere da hingetrieben, wo das Futter wuchs. Manche tun es heute noch.
Heute müssen Menschen wieder fliehen vor Stürmen, Überschwemmungen, Dürre und steigendem Meeresspiegel – ausgelöst durch die Klimaveränderungen. Und immer haben Menschen „ihr“ Land, „ihr“ Wasser, „ihre“ Ressourcen verteidigt gegen die, die gewandert sind.
In der Burg Königstein im Elbsandsteingebirge gibt es eine bemerkenswerte Dauerausstellung vom Militärhistorischen Museums Dresden. Über die Geschichte der Festungen – und die Geschichte der Kriege.

Es ist die Geschichte von Kain und Abel. Abel war schon kein Jäger und Sammler mehr. Er war Viehhirte. Er ist als Nomade mit seiner Herde dem wachsenden Gras hinterhergezogen. Auf einmal kam er an einen Zaun. Sein Bruder Kain hatte ein Stück Land be-setzt, ein besonders fruchtbares, und sagte: „Das ist meins“. Abel sah das nicht ein – das Land gehört niemandem und allen – und zog mit seiner Herde über den Acker vom Kain. Dass der Gott in der Bibel das Opfer von Abel, dem Viehhirten, annimmt und das von Kain, dem Grundbesitzer, nicht, könnte ein Hinweis auf die Weisheit des Gottes sein. Denn mit Be-sitz fangen alle Kriege an. Ebenso Gewalt, Sklaverei und Unterdrückung. Grenzen sind tödlich. Heute noch.
Nun, ich habe auch einen Zaun um meinen Vorgarten. Wegen der Hunde. Und damit die Kinder nicht einfach auf die Straße rennen können. Und ich schließe auch meine Haustür ab. Unsere Privatsphäre ist uns wichtig. Wissen wir noch, dass das Wort „privat“ „geraubt“ bedeutet?
Aber zurück zum Wald und zum Klimawandel.
- Wenn wir nicht auf den nächsten Supervulkan-Ausbruch oder Meteoriteneinschlag warten wollen, der uns eine schöne kühle Eiszeit bringt,
- wenn wir als Menschen nicht mit dem nächsten Massensterben von der Erde verschwinden wollen,
- wenn wir neben der Musik der Delphine und dem Ballett der Kraken eine Rolle spielen wollen in der Evolution,
- wenn die Menschen aus der Sahelzone nicht verdursten und die von den Südseeinseln nicht ertrinken sollen,
- und wir nicht nach Norwegen und Island auswandern wollen, weil es uns hier zu heiß geworden ist,
…dann müssen wir den Klimawandel stoppen. Dafür brauchen wir die Wälder. Sie kühlen und speichern Wasser und CO2. In einem alten Laubwald kann es im Sommer bis zu 15 Grad kühler werden als zwischen Häusern. Ihre Wurzeln halten den Boden fest. Und damit Wasser. Ein Kubikmeter Waldboden kann bis zu 20 Liter Wasser speichern. Wenn jetzt aber ein tonnenschwerer Harvester da drüberfährt, wird der Boden dermaßen zusammengepresst und verdichtet, dass das Wasser nicht mehr einsickert – und die Bäume daneben verdursten. Derselbe Kubikmeter Waldboden speichert vielleicht noch einen Liter Wasser.
Die Bodenlebewesen sterben. So ein verdichteter Boden ist tot.
Und das bleibt. Bis zur nächsten Eiszeit Man hat verdichteten Boden von Römerstraßen gefunden, 2000 Jahre alt. Man hat ausgerechnet, dass die Waldarbeit mit Rückepferden sich rentiert – auf lange Sicht.
Waldumbau heißt nicht nur, andere Arten anzupflanzen. Es heißt vor allem: Forst- und Holzwirtschaft umzubauen.
Wenn man die vom Wind gefällten Fichten liegenlässt und nichts macht, werden sich Bäume und Sträucher von selbst ansäen. Zuerst kommen Birken, Holunder, schnell wachsende Pionierbäume, die reichlich Nährstoffe und einen beschatteten, feuchten Boden finden. Zwischen den Stangen sind sie vor Wildverbiss geschützt. Sie werden nicht alt und machen Platz für Eichen, Buchen und andere Laubbäume, die mit unserem Klima gut klarkommen – auch mit höheren Temperaturen und Trockenheit. Was sich selbst ansät, wird meistens auch groß. Der Wald stabilisiert sich selbst. Das Beste daran: das ist alles umsonst! Keiner muss aufräumen, man spart Maschineneinsatz und Menschenkraft. Und Geld für Setzlinge.
Das Bewusstsein für die Probleme ist seit dem Waldsterben in den 60´ern gewachsen, trotzdem: Zusammenfassend muss man sagen: Der Waldumbau ist keiner. Er findet nicht statt. Nach wie vor. Einige Jagd- und Holzlobbyisten schaffen es immer noch, ihr privates Hobby und ihre Profitinteressen gegen das Wohl der Allgemeinheit durchzusetzen. Und die Politik lässt es zu – die Forstbehörden, die größten Holzproduzenten, kontrollieren sich selbst.
In einem Gerichtsurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1990 heißt es:
„Die Bewirtschaftung des Körperschafts- und Staatswaldes, der 58% der Waldfläche in der Bundesrepublik Deutschland ausmacht, dient der Umwelt- und Erholungsfunktion des Waldes, nicht der Sicherung von Absatz und Verwertung forstwirtschaftlicher Erzeugnisse.“
Können wir Herrn Bolsonaro guten Gewissens sagen, er soll die Regenwälder stehenlassen, wenn wir es gerade mal schaffen, 0,8 % unserer Landfläche als naturbelassenen Wald in Ruhe zu lassen? Brasilien ist zu 60% von naturbelassenem Regenwald bedeckt. Wo bleibt unsere Internationale Glaubwürdigkeit?
Aber es gibt Hoffnung. Es gibt tatsächlich offizielle Institutionen, die verstanden haben, dass es so nicht weitergehen kann mit unseren Wäldern. Zum Beispiel die HNE. Die Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde ist aus einer der ältesten Hochschulen für Forstwirtschaft entstanden – und ist heute konsequent auf nachhaltige Entwicklung, Umwelt und Naturschutz ausgerichtet.
Es geschieht also doch was. Es gibt nicht nur schlechte Nachrichten.
Nun fragt man sich: Was können wir tun? Was kann jede*r von uns tun? Jeden Tag? Man kann eine ganze Menge tun.
- Wir können zum Beispiel nweniger Fleisch essen – oder gar keins, jedenfalls kein Steak aus Brasilien. Die Fläche, die für Fleischproduktion verbraucht wird, ist 42 mal so groß wie die Fläche, die man für die Versorgung der Menschen mit Obst und Gemüse braucht.
- Wir können weniger Holz verbrauchen. Zum Beispiel Recycling-Produkte benutzen statt Küchenpapier aus zerhackten schwedischen Urwäldern.
- Wir können Bäume stehen und alt werden lassen anstatt sie für Autoahnen abzusägen. Wir können auch einen Spaziergang im Dannenröder Forst machen.
- Wir können die Politiker daran erinnern, dass der Wald dem Gemeinwohl dient und nicht privaten Interessen. Dafür brauchen wir eine unabhängigeForstaufsicht.
- Wir können uns dafür einsetzen, dass das Verfassungsgerichtsurteil durchgesetzt wird und Erholungswert, Klimaschutz und Naturerhalt der Wälder an erster Stelle stehen.
Und außerdem können wir – nein, wir müssen natürlich alles tun, was den Klimawandel und das Artensterben stoppt. Die Natur stellt immer ein Gleichgewicht her. Wir können dafür sorgen, dass sie das so macht, dass wir eine Chance haben.
Masern stammen von der Kuh, die Grippe vom Zusammenleben von Menschen, Schweinen und Enten. Corona und Ebola wurden von Wildtieren übertragen, die aus ihren Urwäldern vertrieben wurden. Es gibt noch viele unbekannte, vielleicht noch schlimmere Infektions-Krankheiten in den unberührten Wäldern der Erde. Internationale Agrarkonzerne und Bodenspekulanten und industrielle Landwirtschaft bedrängen die Wildnis immer mehr. Wenn wir unsere Ernährungsgewohnheiten ändern, könnten wir sie in Ruhe lassen.
In der Eifel gibt es Buchenwald, wo man nichts macht. Peter Wohlleben hat dafür gesorgt, dass der Buchwald sich natürlich entwickeln kann. Dieser Wald ist gesund. Man sieht es daran, dass die Kronen geschlossen und rund sind. Im Sommer lassen sie kaum Licht durch. Der Wald beschattet sich selbst. Das ist so wertvoll: Totholz bleibt stehen und liegen, Tiere ziehen ein, Pilze, Moos, Pflanzen. Das Leben zieht wieder ein. Wenn wir wollen, können wir in 100 Jahren im alten Buchenwald spazieren gehen.
