Sternenwanderung

Sternenwanderung

Ich wache auf. Es ist fünf Uhr morgens.

Es ist still. Die Vögel singen noch nicht. Eigentlich ist es noch dunkel. Helles Licht scheint durch die Gardine in mein Schlafzimmer. Die Bäume werfen Schatten an die Wand, durch die Gardine, jeder Ast ist zu erkennen. Es ist die Parkplatzbeleuchtung vom Ärztehaus gegenüber, ungefähr 100 Meter weit weg. Als letztens der Sturm war, ging das die ganze Nacht an und aus. Die Straßenlampe weiter hinten beleuchtet den menschenleeren Marktplatz. Hinter meinem Gartenzaun: der Parkplatz vom Supermarkt, der Mirabellenbaum und die Nachbargärten beleuchtet, bis vor kurzem die ganze Nacht.

Ich kann nicht wieder einschlafen.

Lichtverschmutzung! Aber wieso denn Verschmutzung? Licht brauchen wir zum Leben. Kann doch eigentlich gar nicht genug Licht geben – oder?

Das ist so schön, wenn die Tage wieder länger werden. Wenn im Frühling die Natur explodiert. Die jungen Blätter, wie sie das Licht trinken. Endlich wieder in der Sonne sitzen nach dem dunklen Winter.Wir wollen ja nachts nicht durchs Dunkle stolpern. Wir wollen unsere Straßen, Häuser, Autos und Industrieanlagen vor Einbrechern und anderen bösen Menschen schützen. Werbung und Schaufenster wollen nachts gesehen werden. Der Dom auch. Ohne Licht würden wir uns verlaufen. Wir würden überfallen. Wir würden von wilden Tieren gefressen.

Wir wollen Licht ins Dunkle bringen und erleuchtet sein, erhellende Erkenntnisse haben statt düsterer Gedanken, wir wollen strahlen und glänzen und leuchten, nicht in düstere Stimmung verfallen und nichts mit dunkler Magie zu tun haben. Licht ist doch schön!

Wieso also Licht-VERSCHMUTZUNG?

Die Parkplatzbeleuchtung scheint aus 100 Meter Entfernung, die Straßenlampe vorm Haus scheint zum anderen Fenster ins Schlafzimmer, im zweiten Stock. Der Nachbargarten wird die ganze Nacht durch beleuchtet. In der Baustelle brennt die ganze Nacht Licht, kein Mensch ist da. Echte, schwarze Nacht gibt es kaum noch, vor allem in den Städten nicht. In Europa sieht man durchschnittlich nur noch 40 Prozent der Sterne, die man eigentlich sehen könnte. Großstädte, Straßenbeleuchtung, Leuchtreklamen, Videowände, Flutlichtanlagen und Industriebeleuchtung strahlen Licht ins Universum.

Und die Nächte werden immer heller. Mit Satellitenbildern ist das erforscht und aufgezeichnet worden. Aber Nachtbilder von Satelliten können noch viel mehr.

An den Veränderungen von Ausbreitung und Qualität der Beleuchtung kann man nachverfolgen, wann und wo Menschen schlafen, arbeiten – saisonal und täglich, wann und wo sie fahren, was transportieren, illegal fischen, Urlaub machen, fliehen, Häuser, Fabriken und Gewächshäuser bauen, damit man 365 Tage im Jahr Tomaten ernten kann. Man kann sehen, wo gerade Länder und Regionen im Shutdown sind und wo nach einem Sturm, einem Wintereinbruch, einem Erdbeben, einem Feuer der Strom ausgefallen ist. Nord-Korea ist auf den Satellitenbildern nachts ein schwarzer Fleck. Man kann auch sehen, wo durch das Zerbomben von Kraftwerken Krieg gegen die Zivilbevölkerung geführt wird. Man kann mit diesen Bildern sozio-ökonomische Dynamiken erforschen und Marktforschung betreiben. Elon Musk hat mehr als 2000 Satelliten ins All geschossen.

Wenn das helle Licht mich stört, kann ich mir ja dickere Vorhänge kaufen. Und für ein paar Astronomen gebe ich doch nicht meine Sicherheit auf. Und die LEDs verbrauchen ja viel weniger Strom.

Das stimmt, aber seitdem das Licht durch die LEDs billiger geworden ist, wird viel mehr verbraucht. Der Stromverbrauch für Licht steigt jedes Jahr um sechs Prozent.

Energieverbrauch durch Licht ist das eine, aber ist es nicht auch schade, dass die meisten Menschen, die in Städten leben, noch nie im Leben die Milchstraße gesehen haben?

Das ist nicht nur schade sondern das ist tödlich: Millionen Insekten sterben jedes Jahr allein in Deutschland durch künstliches Licht.

Vögel, Fledermäuse, Wale und Schildkröten wandern, paaren sich und brüten zur falschen Zeit, verirren sich, zu früh geschlüpfte Küken erfrieren beim nächsten Frost und finden keine Nahrung. Man hat festgestellt, dass schon durch schwaches künstliches Licht das Verhalten von nachtaktiven Tieren erheblich verändert wird. Sie ziehen sich zurück, sind viel scheuer und weniger aktiv. Pflanzen werden in ihrem Wachstum gestört.

Licht beeinflusst den Biorhythmus von Pflanzen und Tieren – die wechselnde Tageslänge in den Jahreszeiten, der Rhythmus von Tag und Nacht, das Mondlicht – seit Urzeiten. Auch UNSER Biorhythmus wird vom Licht gesteuert. Unsere Fruchtbarkeit, unser Schlaf, unsere Psyche reagieren auf Licht. Auf natürliches, aber eben auch auf Kunstlicht. Zu viel künstliches Licht, am falschen Ort, zur falschen Zeit, das falsche Licht macht krank. Erwiesen sind erhöhtes Risiko für Brust- und Prostatakrebs, Schlafstörungen, Übergewicht, Augenkrankheiten, Hormonstörungen und vermutlich auch Depressionen. Mit Licht kann man foltern.

Ich habe eine Sternenwanderung im Nationalpark Eifel mitgemacht. Hugo Bardenhagen engagiert sich gegen Lichtverschmutzung. Er erzählt: Bei einem abendlichen Besuch in einem Hamburger Krankenhaus fiel ihm eine blendend helle Werbetafel auf. Er hat an die Klinikleitung geschrieben, dass sie doch eigentlich für die Produktion von Gesunfheit zuständig seien – hier aber das Gegenteil davon produzieren. Die Klinikleitung reagierte sofort und bat ihn um Information ihrer Techniker. Kurz darauf wurde die Beleuchtung umgestellt.

Normän Naboulsi in Düsseldorf spürt in nächtlichen Kontrollgängen, an denen man sich beteiligen kann, Lichtverschmutzer auf und schreibt an Geschäftsinhaber und Stadtverwaltung. (www.lichtwache.org)

Langsam wird das Problem erkannt. Wie in Düsseldorf gibt es weltweit Aktionen gegen Lichtverschmutzung. In Chile, wo es mehrere internationale Observatorien gibt, hat es angefangen. In Spanien, Italien, Tschechien, Slowenien, Österreich, der Schweiz und in Deutschland hat man reagiert mit Gesetzen und Leitlinien. Die Städte und Gemeinden sind da oft schon weiter als Architekten, Häuslebauer und Bürger*innen.

Ein besonders schönes Beispiel, wie man es richtig macht, sind die Gemeinden Kirchschlag und Steinbach in Österreich. Sie haben ihre Außenbeleuchtung komplett umgestellt. Geschäftsleute und Privatleute haben sich beteiligt und sind begeistert.

Video Mag a (FH) Christiane Hager-Weißenböck. Land OÖ

Man muss nämlich auf nichts verzichten, wenn man was gegen Lichtverschmutzung macht – im Gegenteil. Das neue orangene Licht blendet nicht, es irritiert keine Zugvögel und Fledermäuse und tötet keine Nachtfalter. Straßen und Wege sind nicht dunkler und unsicherer geworden – sondern angenehmer. Nicht mehr die Bäume und der Himmel werden angestrahlt sondern der Gehweg und die Straße. Mit modernster Technik: lichtstärke-regelnden Bewegungsmeldern, speziellen LEDs, Zeitschaltungen. Und das Ganze spart auch noch Strom.

Über 45 Grad im Schatten, seit Wochen, in Indien – Millionen Menschen, die jetzt schon unter der Klimakatastrophe leiden – Millionen Euro, die wir jeden Tag für Energie an einen Kriegsverbrecher überweisen: Gründe, Strom zu sparen, gibt es genug. Lichtverschmutzung ist eine Umweltbelastung, die man sofort abstellen kann. Sie hilft der Natur, dem Klima und dem Energiehaushalt und wirkt sofort.

Und außerdem: wie schön so eine richtig dunkle Nacht sein kann, das habe ich das letztemal erlebt, als ich ein Wochenende im Ökodorf Sieben Linden war.

Wir kamen im Dunklen an, kannten uns nicht aus und es gab keine Beleuchtung, weder auf dem Parkplatz noch auf der unasphaltierten Straße. Wir haben den Parkplatz und das Gästehaus trotzdem gefunden: der Parkplatz war da, wo die Autos standen. Wir hatten Taschenlampen mit, aber ich hab meine bald ausgemacht – man sieht die Pfützen auf dem Weg viel besser ohne. Die Augen gewöhnen sich.

Und dann, der Blick aus meinem Fenster, der Sternenhimmel: das war magisch!

Gute Nacht! Eure ASRA

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