Über Schönheit

Was ist schön? Was finden wir schön?

Sophie Calle, eine französische Konzept-Künstlerin, hat von Geburt an blinde Menschen gefragt: „Was ist dein Bild von Schönheit?“ Was sie geantwortet haben hat sie fotografiert und diese Fotos zusammen mit Porträts der blinden Menschen und ihren Antworten in einem Ausstellungsprojekt zusammengestellt.

Antworten auf die Frage nach der Schönheit: Fische. Die Farbe Grün. Ein Traum vom Sohn im Schlafanzug. Ein Sternenhimmel. Die Skulptur eines weiblichen Körpers.

Ich finde, ein Herbstwald ist schön, ein Bach. Ein Garten kann schön sein, eine Landschaft, ein Gesicht, ein Klang, ein Tanz, ein Haus. Ein leckeres Essen kann schön sein. Dazu gehört, dass das Gemüse nicht von wer weiß woher kommt und nichts vergiftet oder gequält wurde. Kinderbilder sind schön, Licht und Schatten, Gegenlicht. Kleidung kann schön sein. Ja, auch ein Auto. Ein Computerprogramm kann schön sein. Ein Gespräch. Ein Fest. Auch streiten kann man sich auf schöne Art – anstatt auf hässliche. Ich könnte endlos weitermachen.

Ich bin überzeugt, dass Schönheit wirkt. Auf jede und jeden. Auch auf die, die meinen, Schönheit sei oberflächlicher Firlefanz.

Ein besonders schönes Beispiel habe ich in Andernach gefunden.

Die Grünflächen an der Stadtmauer von Andernach waren früher die schlimmsten Drecksecken der Stadt. Die Stadtreinigung musste immer wieder zerbrochene Bierflaschen, Kippen, Müll und Hundekot entfernen. Bis eines Tages ein städtischer Bediensteter eine geniale Idee hatte. Statt „Betreten verboten“ und anderer Verbotsschilder sollte es heißen: Pflücken erlaubt. Gemüse- und Obstgärten sollten entstehen, die allen gehören. Ohne Zäune. Zusammen mit der Gartenbauingenieurin Heike Boomgaarden fing Heinz Kosack einfach an und baute die „essbare Stadt“.

Im Internet gibt es viele Filme und Interviews über die essbare Stadt Andernach. Wie das alles entstanden ist, über das Konzept, wer daran beteiligt ist, wie sich das trägt und welche weitreichenden Auswirkungen dieses schöne Projekt schon hatte. Am spannendsten finde ich die Aspekte Gemeineigentum, kultureller Wandel, neue Kultur der Öffentlichkeit und: dass es funktioniert!

Es funktioniert, weil die Menschen daran beteiligt sind. Jede und jeder kann mitmachen, mithelfen – und ernten. Man kommt ins Gespräch und erzählt sich, warum man besser nicht alle Weinblätter abpflückt – und wie man mit Weinblättern kocht. Man erzählt sich, warum man bei den Kartoffelpflanzen besser nicht nachguckt, wie dick sie schon sind, man erfährt, dass die Taubnesseln kein „Unkraut“ sind sondern Nahrung für die Bienen an der Stadtmauer. Man erfährt, warum man die Schafe und die Hühner besser nicht mit Brot füttert und dass man beim Füttern mitmachen kann.

Zum Erstaunen skeptischer Zweifler gibt es keinen Vandalismus. Ein Bäumchen wurde mal mitgenommen, das war alles. Nichts ist zerstört, verdreckt oder beschädigt worden.

Das liegt daran, dass alle von Anfang an beteiligt wurden: Anwohner*innen, Stadtverwaltung, Politiker, Arbeitslose, Schulen, Jugendliche. Man hat das Gefühl: die Gärten gehören uns.

Aber Kosack und Boomgaarden führen das auch darauf zurück, dass von Anfang an Wert darauf gelegt wurde, die Gärten schön zu gestalten. Wenn etwas bewusst schön gestaltet ist, zeigt das, dass da jemand mit Respekt an die Sache herangegangen ist. Und Schönheit löst anscheinend auch Respekt aus.

Ist das nicht schön?!

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