
Beim Skillsharing-Camp der BUND-Jugend bei Dortmund und beim Klima-Camp in der Nähe vom Hambacher Forst habe ich neue Formen des Miteinander kennengelernt, die ich total spannend finde. Morgenrunde. Open Space. Es gab keinen vorgefertigten Tagesplan. Alle, die an diesem Tag etwas anbieten oder mitmachen wollten, saßen im großen Zelt im Kreis: Ein Massage-Workshop, Kompostklo – Learning by Doing, ein Vortrag über Klimakrise und Finanzwelt, ein Fahrradreparatur-Kurs, Tanz, Meditation, Zeichnen, Culture-Skills, meine Comic-Lesung. Für die Angebote wurden Zeiten festgelegt und es meldeten sich die Teilnehmer*innen. Ganz schnell war ein total bunter und interessanter Tagesplan aufgestellt.
Und was hat das nun mit dem Zeichnen zu tun?
Die Verbindung ist der leere Raum. Das ANDERE Sehen kann man üben, das Ändern der Gewohnheiten, das Nicht-Tun. Mit dem blinden Konturenzeichnen, Auf-dem-Kopf-Abzeichnen, dem Zeichnen der Zwischenräume und Hintergründe. Und beim Zeichnen von Schatten.
Bei all diesen Übungen schalten wir den Künstlerblick ein. Es sind Tricks, mit dem wir die linke Gehirnhälfte in die Pause schicken. (Das ist jetzt stark vereinfacht ausgedrückt – bitte keinem Neurologen erzählen!) Also, die linke Gehirnhälfte sagt: Ach, das kann doch nix werden – und schaltet ab. Und dann hat die rechte Gehirnhälfte ihre Chance. man schaut anders hin und du zeichnet, was man sieht und nicht, was man weiß. Man zeichnet nicht mehr „Gesicht“, „Hand“, „Stuhl“ – sondern Linien. Man guckt: wie sitzt diese Linie auf dem Blatt? Wie verläuft sie? Dann die Linie daneben: wo fängt sie an? Wie geht sie weiter?
Charles Eisenstein hat ein wunderbares Buch geschrieben: „Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich“ (Scorpio 2014). Es geht darin um den lebensnotwendigen Wandel unserer Kultur, Ökonomie, Politik etc., der nur möglich ist durch inneren Wandel. Er schreibt auf Seite 157 folgendes:
„Bevor sie fähig sind, sich auf eine neue Geschichte einzulassen, müssen die meisten Menschen (und wahrscheinlich ebenso die meisten Gesellschaften) erst ihren Weg aus der alten herausfinden. Zwischen der alten und der neuen ist ein leerer Raum. Es ist eine Zeit, in der die Lektionen und Erfahrungen der alten Geschichte verarbeitet werden. Nur wenn diese Arbeit getan wurde, ist die alte Geschichte wirklich abgeschlossen. Dann ist da nichts, die schwangere Leere, aus der alles Seiende entsteht. Wir kehren zum Wesentlichen zurück und gewinnen die Fähigkeit wieder, aus dem Wesentlichen heraus zu handeln. Wenn wir wieder in den leeren Raum zwischen den Geschichten kommen, können wir wählen, aus Freiheit und nicht aus Gewohnheit.“
Das Zitat ist aus dem Kapitel „Nicht-Tun“. Wir befinden uns jetzt gerade in genau so einer Zeit. Die Probleme liegen auf dem Tisch, alle Probleme der Menschheit. Schon seit langem. Und viele Menschen fühlen sich unter Stress, sofort, am besten gestern, was tun zu müssen. Dabei ist jetzt die Zeit, wo wir auf die Power des Nicht-Tun vertrauen müssen.
Seit der Zeit der Industrialisierung sind wir gedrillt darauf, was tun zu müssen und nichts wert zu sein, wenn wir z.B. nicht arbeiten. Natürlich ist das nicht. Viele Menschen spüren das. Und bekommen Burnout, nicht unbedingt weil die Arbeit härter geworden ist sondern weil der Druck gestiegen ist und sie keinen Sinn macht. Und sie bekommen Depressionen, nicht weil die Welt untergeht sondern weil sie spüren, dass wir so nicht weitermachen können.
Wenn wir uns beim Zeichnen auf die Schatten konzentrieren statt auf das eigentliche Ding, tricksen wir die „normalen“ Sehgewohnheiten aus. Ich bin davon überzeugt, dass wir im ganz Kleinen, zum Beispiel beim Zeichnen, unsere Angst vor dem Nicht-Tun überwinden und üben können, alte Konzepte und Gewohnheiten abzulegen. Damit wir zum Ursprünglichen und Wesentlichen zurückfinden und eine neue Geschichte anfangen können. Das Tun kommt dann ganz von allein wieder – und es wird ein völlig anderes Tun sein.
Noch ein Beispiel fürs Nicht-Tun: In der Morgenrunde im Klima-Camp wurde gefragt, ob drei bis vier Leute das Küchenteam unterstützen könnten. Ich hatte keine Lust. Aber später, als ich die da schnibbeln sah, hab ich mich dazugesetzt und eine Weile mitgemacht. Weil ich nicht MUSSTE, hat es Spaß gemacht.
Ich hab das Gefühl, dass gerade eine andere Geschichte anfängt.